Brühler Kunstverein
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KINGPIN: Characters 1984 - 2004

Ausstellung vom 4. Juni bis 2. Juli 2005

 

Anfang der 80er Jahre machte ein Graffitikünstler in seinem Wohnort Brühl mit Arbeiten im öffentlichen Raum auf sich aufmerksam. Seine gesprühten Werke, teilweise mit Hilfe von Schablonen an Mauern und Wänden angebracht, signierte er mit dem Namen King Pin. Viele Brühler begegneten seinen Arbeiten auf ihren täglichen Wegen in der Stadt. Doch nach und nach sind seine Werke aus dem Stadtbild verschwunden. Nur noch wenige Sprühbilder zeugen von der Aktivität Christian Wolfs in diesen Jahren. Der Künstler gilt als einer der Begründer der Graffitikunst in Deutschland.

Schon von Beginn seiner Sprühtätigkeit an hat Wolf mit der Dose auch auf Leinwänden gearbeitet. Die Ausstellung im Brühler Kunstverein zeigt Beispiele von den Anfängen bis in die Gegenwart. Jedes Bild steht für eine Phase in dem über 20-jährigen Schaffenszeitraum. Allen Arbeiten gemeinsam ist eine figürliche Darstellung. In der Sprache der Sprayer handelt es sich dabei um Characters. Die Motive sind teilweise politisch oder gesellschaftskritisch motiviert, manchmal dienten Comicfiguren als Vorbild.

What if businessmen would like happy colours, 2004; ©Chr.Wolf, BKV
What if businessmen would like happy colours, 2004



        Der Kunstverein bietet zwei Jahresgaben
        von KINGPIN an.
 

Characters

Wer auf dem Fußballplatz "Charakter zeigt", der kämpft. Nicht nur, um mit der Mannschaft zu gewinnen, sondern auch, um aufzufallen, sich zu empfehlen für andere Aufgaben. Manchmal schreibt er auch etwas auf das Untertrikot, wo doch immer "Raum für persönliche Mitteilungen" bleibt. Wenn alle einmal nicht auf die Bandenreklame schauen und man einmal gerade ein Tor gemacht hat, dann ist Zeit für die persönliche Botschaft. Leider ist das verboten. Fußball ist ein Regelwerk, es gibt Gelb. Die Antworten werden zwar auf dem Platz gegeben, aber persönliche Botschaften darin werden geahndet.
Wer mit dem Auto Charakter zeigen möchte, hat schon gewonnen. Eine kleine Internetrecherche gibt sofort Aufschluss darüber, dass die beiden Begriffe ein Paar sind: mehr als eine Million Treffer für diese Kombination. Da kann ein Fußballspieler schon neidisch werden. Das Schöne daran: den Charakter kann man mit dem Auto kaufen; er ist schon fertig. Und wie in der Herrenoberbekleidung oder beim Friseur kann man unter einigen erfolgreichen Modellen auswählen: den sportlichen, den gediegenen oder den praktischen Charakter.

 

Die Wortkombination "Kunst" und "Charakter" ist überraschender Weise bei der gleichen Recherche nicht so erfolgreich. Dabei war es für klassische Kunst eine wichtige Aufgabe, Charakter zu zeigen. Das Porträt lebt davon, das politische Bild auch. Leider ist es im weiten Feld öffentlicher Gestaltungen nicht ganz so weit her mit dem Charakter. Vielleicht wählen die bestallten Gestalter wie bei der Autoauswahl immer die praktische Variante, vielleicht haben Geld und verfügbare Zeit überhaupt nicht für Charakter gereicht. Wenn sich hier unbezahlte Sprayer einmischen, zeigt das nicht nur, dass sie typografisch ihrer Zeit voraus sind. Sie lassen auch viele Fragen spüren, die heute offen sind in der Gesellschaft. Grassierende Unpersönlichkeit, mangelnde Sorgfalt im Umgang mit den öffentlichen Erscheinungsbild, die Diktatur kommerziellen Denkens: sie regen an, über einige heutige Charaktereigenschaften nachzudenken.

Stalker; ©Chr.Wolf, BKV
Stalker
 

Klar, unbestelltes Sprayen ist verboten. Klar, wirklich nicht jede Gestaltung ist schön, nicht jeder Text lesbar, nicht jede Platzierung glücklich. Aber letzteres gilt für die sprayenden Amateure wie für die bauenden, werbenden oder informierenden bezahlten Profis. Die neuerdings ausgeübte Kontrolle per Hubschrauber und Videokontrolle kann möglicherweise das verbotene Sprayen eindämmen. Charakter zeigen im fußballerischen Sinne: das Innenministerium ist ja schließlich auch für den Sport zuständig.

Solange dort die offizielle Sprachregelung von "Farbsprühereien" spricht, bleibt einiges zu überlegen. Die Argumentation geht davon aus, dass Sprayen verboten ist und dass deshalb ein despektierlicher Ton angebracht ist. Unter anderen als juristischen Aspekten für die selbe Sache hätte das Folgen. Man müsste sprechen, von Informierereien, wo es um die umfassende Aufklärung über die Hintergründe von Graffiti geht, von Bauereien, wo es um die Gestaltung von Städten geht. Sehen Sie sich selbst einmal um und überlegen, wo denn Bauen mit einem gestalterischen Anspruch verbunden ist.

 

Um das abzuschließen: Wir wissen, dass es einen Weg über den Kampf ins Spiel gibt. In die besseren Ligen aber kommt man nur, wenn das Gesamtpaket stimmt: Spielwitz und Engagement, Lockerheit, Spielaufbau und vor allem Übersicht. Diese Charaktereigenschaften fehlen der Auseinandersetzung um Graffiti auf breiter Ebene. Da ist noch einiges zu leisten, nicht nur vor der WM 2006. Die deutschen Tugenden allein reichen bekanntlich ja auch schon im Fußball längst nicht mehr aus.

Soif; ©Chr.Wolf, BKV
Soif
 

King Pins Arbeiten in einem Kunstverein, genauer gesagt dem Brühler Kunstverein ausgestellt. Nun ist Brühl nicht irgend eine Stadt. Nein, hier lebte und arbeitete der erste europäische Sprayer, der großformatige, gut aufgebaute und sehr individuelle "Pieces" wie in New York herstellte. Sein Name war King Pin, und als einziger deutscher Sprayer fand er Eingang in die "Bibel" der Sprayer, den von Henry Chalfant und James Prigoff herausgegebenen Bestseller "Spraycan art". Prigoff war (neben den damaligen Zentren Dortmund, Paris, München, London, Berlin und Amsterdam vor 20 Jahren eigens in Brühl. Ganz vorsichtig war der Sprayer sogar einmal für den Brühler Kunstpreis ins Gespräch gebracht worden. Den hat er im Geburtsort von Max Ernst nie erhalten. Diese Ausstellung kommt spät, so gut es ist, dass sie überhaupt entsteht. Eine Dokumentation zeigt, was es in der rheinischen Kleinstadt vor mehr als zwanzig Jahren zu sehen gegeben hat. Diese in ihrer Qualität damals mindestens deutschlandweit einzigartigen Bilder sind inzwischen verschwunden. Man hat nicht gewartet, bis eintrat, was in provokativen Kunstformen sonst die Regel ist. Im Übrigen, bereits Mitte der 1980er Jahre stellte eine soziologische Abschlussarbeit Bevölkerungsmehrheiten fest, die großformatige Spraybilder attraktiver fanden als die meisten Wände ohne Graffiti.

Den Graffiti geht es - bei aller Auseinandersetzung wegen der Unrechtmäßigkeit - um Stil, um Farbe. Und schließlich ist es Bewegung, was die Sprayer immer fasziniert hat. Möglicherweise waren und sind deshalb Züge und ihre Umgebung das begehrteste Transportmittel ihrer Botschaften.

"Characters" in Spraybildern sind figürliche Darstellungen, die sich mit den vorherrschenden Buchstaben ergänzen. Hier zeigen die Sprayer, dass sie nicht nur typografisch ihrer Zeit voraus sind. Sie stellen sich auch der Auseinandersetzung mit den Jahrtausenden bildlicher Darstellung, und so sind auch viele Arten des Figurenbilds vertreten. Um sich dieser Last der Tradition aus Millionen gemalter Bilder auszusetzen, bedarf es schon fast sportlicher Ambitionen. Anders als in den vernachlässigten öffentlichen Räumen und Flächen, deren Gestaltung von den Spraybildern oftmals profitiert, ist hier die Konkurrenz des schon Gesehenen stark. Die Sprayer finden dennoch Lücken, überzeugende eigene Lösungen. Immerhin sind sie geübt im Umgehen einer allumfassenden Kontrolle.

Wer die Arbeiten von King Pin unter diesem Aspekt betrachtet, wird sehen, dass diese Stilfragen ihn immer wieder zu Wandlungen seiner Handschrift getrieben haben. Diese Änderungen sind allerdings niemals nur ein bloß formales Kalkül. Nein, weil Graffiti immer auch eine Seinsbehauptung sind, ein unmittelbarer und ehrlicher Ausdruck der Person, sind sie auch Änderungen der Person. Weshalb es hier um "Characters" geht, könnte auch unter diesem Aspekt deutlicher werden: ein Autor, dessen Identität normalerweise geheim bleiben muss, beschäftigt sich mit Identitätsfragen. Die Zusammenstellung der Bilder ergibt ein überraschend kantiges und überdies genaue Chronik eines künstlerischen Wegs.

Gleichzeitig zeigen die hier ausgestellten Arbeiten deutlich erzählerische, mitunter fragende Züge. Und da wird wieder wichtig, dass Graffiti eine Kunstform sind, die ohne die Öffentlichkeit als Bezugsgröße und den öffentlichen Raum als Austragungsfläche schwerlich zu denken sind. Die Dokumentation offenbart darüber hinaus auch einen sehr überlegten Umgang mit der Platzierung der Arbeiten.

Dr. Johannes Stahl, Kunstkritiker; ©J.Stahl

 
Biografische Angaben und Ausstellungen

 1966 Christian Wolf (KINGPIN) wird in Mannheim geboren
 1983 Erste Graffiti und Schablonengraffiti in Brühl unter dem Namen King Pin
 1984 Reise in die USA, trifft in New York Lee Quinones, Vulcan und Henry Chalfant
 1986 Ausstellungsbeteiligung in der ZZZ-Galerie, Köln
Industrial Performance mit MOW, Golem baut Golem. Bilder auf Metall
 1987 Erscheint als einziger Deutscher in Henry Chalfant und James Prigoff: Spraycan Art
 1989 Ausstellungsbeteiligung im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden "An der Wand"
Beteiligung an der Bonner Kunstwoche
30 Figuren an "Orten der Kraft" zum Thema Endzeit-Attavismus.
 1990 Einzelausstellung Verein für soziale Bildung, Köln
 1991 Beginn Studium Design, visuelle Kommunikation, FH Köln
 1992 Beginn Studium der Freien Malerei bei Peter Reiche
Street Art: Abstraktes Graffiti und Copy Art in Köln, zusammen mit Georg Melching.
 1993 Aufträge für Architekten, Medienfeste und Konzerthalle "die Kantine"
Ausstellung im Kunsthaus Rhenania, zusammen mit Reiche-Schülern
 1995 Beendigung des Studiums bei Peter Reiche
Einzelausstellung Galerie Cosmix, Hamburg
Div. Performances mit MOW, Köln, Diashow für Sektor
 1996 Diplom Design (FH)
Beteiligung an der TATA-West '96, Köln, mit Performances
Ausstellungsbeteiligung in Paderborn, Städt. Kabarett
 2000 Einzelausstellung "King Pin", Bonn, Kulturzentrum Hardtberg
 2002 Mitwirkung im Film von Ralf Küster "Schutzbeschichtung - Graffiti im öffentlichen Raum"
 2005 Ausstellung "Characters 1984 - 2004" im Brühler Kunstverein
 

Impressionen der Ausstellungseröffnung

 © G.Wagner © W.Müller
 Christian Wolf - KINGPIN

 Zahlreiche Besucher waren gespannt auf die Leinwände
 © G.Wagner © G.Wagner
 Der Vortrag von Dr. Johannes Stahl (links)
enthält reichlich Diskussionsstoff


 Viele interessierte Zuhörer
 © G.Wagner © G.Wagner
  Aufnahmen: Günter Wagner