Brühler Kunstverein
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Thomas Müller - Martin Noël - Holzschnitte

Ausstellung vom 6. September bis 3. Oktober 1998

In den letzten Jahrzehnten ist die traditionelle Technik des Holzschnitts verstärkt in das Bewusstsein jüngerer Künstler und Künstlerinnen getreten. Mehrere Überblicksausstellungen haben diesem Phänomen Rechnung getragen. Die vielfältigen aktuellen Tendenzen lassen sich nur schwer auf einen Nenner bringen. Doch bemerkenswert ist die innovative Offenheit, mit der die junge Künstlergeneration diesem Medium, das landläufig als etwas altmodisch gilt, begegnet.
In diesem Zusammenhang stellt der Brühler Kunstverein Werke zweier Künstler vor, die einen wichtigen Beitrag zur "Renaissance" des Holzschnitts leisten.

 

Die Traditionsstränge dieser künstlerischen Technik reichen weit zurück. Für die Nachkriegszeit markieren die Arbeiten von HAP Grieshaber, Gerhard Altenbourg, Ewald Mataré und Joseph Beuys wichtige Positionen innerhalb des deutschen Holzschnitts. Sie üben zusammen mit den Werken von Georg Baselitz, Markus Lüpertz und A.R.Penck einen starken Einfluss auf die jüngere Künstlergeneration aus.

Ein Grund für das wiedererwachte Interesse an diesem im Gegensatz zu modernen Druckverfahren technisch doch beschränkten Medium mag in der einfachen und vergröbernden Sprache des Holzschnitts liegen. Sie verlangt von dem Künstler eine Reduktion, Verdichtung und Konzentration der Form auf das Wesentliche. Ein solches Vorgehen steht nicht zuletzt im Kontrast zu den scheinbar unbegrenzten künstlerisch-technischen Möglichkeiten unseres heutigen Computerzeitalters und mag gerade deshalb eine Herausforderung sein.

Der Zyklus "Sechs Holzschnitte" von Thomas Müller und die "JOHN-Serie" von Martin Noël, die der Brühler Kunstverein zeigt, sind extra für diese Ausstellung entstanden und werden somit erstmalig dem Publikum vorgestellt.

Beide Künstler sind von ihrem Arbeitsmaterial Holz fasziniert, dessen unterschiedliche materielle Beschaffenheit ihre Arbeitsweise beeinflusst, da sie sich mit dessen Widerständigkeit und Eigenwilligkeit immer wieder auseinandersetzen müssen. Ihre Drucke sind Handabzüge. Beide arbeiten mit konventionellen Holzschnittwerkzeugen wie Hammer und Stechbeitel. Thomas Müller benutzt zusätzlich eine elektrische Handbohrmaschine, mit der er Punkte, Löcher und Kreise bohrt, die er aber auch wie ein "Zeichengerät" einsetzt.

Thomas Müller

Thomas Müller




Martin Noël

Martin Noël
 

Im Gegensatz zu Thomas Müller, der den schwarz eingefärbten Druckstock direkt auf das Papier druckt, spachtelt Martin Noël vorbereitend für den Druck eine rechteckige schwarze Fläche auf das Blatt. Erst danach wird der farbige Druckstock aufgetragen. Der schwarze Hintergrund bricht die Leuchtkraft der verwendeten Farben und verleiht ihnen Tiefe. Durch den Handabdruck gibt es von Druck zu Druck gewisse Abweichungen in der Farbdichte, was den Blättern fast einen Unikatcharakter verleiht. Zudem bevorzugen beide Künstler kleine Auflagen.

Thomas Müller erlebt beim Holzschnitt - im Gegensatz zum Zeichnen - eine Verlangsamung und Verfestigung seines Tuns. Der Materialwiderstand ist wesentlich größer als beim Papier. Doch gerade deshalb reizt es ihn, den Holzschnitt leicht und fast flüchtig wirken zu lassen, was sich in den filigranen Partien der hier ausgestellten Arbeiten sehr schön wiederfinden lässt. Zugleich ist für Müller die Umkehrung von Schwarz - Weiß im Gegensatz zur Zeichnung interessant, kommt sie seinem Interesse an polaren Verhältnissen entgegen. Wichtig bei den Holzschnitten ist ihm eine große Einfachheit - im Gegensatz zu hochgezüchteten druckgrafischen Verfahren.

Der Künstler erlebt seine Arbeit nicht als Realisierung einer vorgefassten Idee, sondern als Prozess. "So wie auch das Denken sich nur im Prozess und durch einen Prozess verändern kann" (Thomas Müller), wandelt sich durch das Vorgehen in mehreren Schritten und mit verschiedenen Zustandsdrucken eine Grundidee jeweils neu bis hin zur völligen Veränderung.
Durchgängige Gestaltungselemente der hier ausgestellten Holzschnitte bilden Punkte oder Kreise, die dem Betrachter in unterschiedlichen Formationen und Kompositionen entgegentreten. Auf einer differenzierten schwarzen Fläche in kontrastierendem Weiß gesetzt, scheinen sich die Kreise im imaginären Raum aufzuhalten. Immer wieder ist die Zahl "vier" für den kompositorischen Aufbau relevant. So sind z.B. vier Kreise zentriert gesetzt und von zart punktierten Linien halbkreisförmig umfangen. Assoziationen an einen Blick durch ein Teleskop auf Planetenkonstellationen werden wachgerufen. In einem anderen Blatt hat man dagegen den Eindruck, dass der Blick mittels eines Mikroskops so dicht an ebenfalls vier Kreise herangeführt wird, dass deren radiale Energiefelder in Form von punktierten Linien sichtbar zu werden scheinen.

Wird hier die Polarität von Nah- und Fernsicht als künstlerisches Gestaltungs-thema anschaulich vor Augen geführt, so lassen sich in den weiteren Holzschnitten polare Themenkomplexe wie Konzentration und Ausdehnung, Zentrenbildung und Verflechtung, Teilung und Verschmelzung erkennen: Fügen sich in einem Holzschnitt mehrere Kreise in loser Anordnung zu vier lockeren Mengen zusammen, so scheinen sie in einem anderen Blatt zu kompakten Flächen ineinander verschmolzen. Sie bilden Zentren, aus denen sich Ketten von Kreisen in geschwungener Form netzartig über die Fläche verteilen. So verdeutlicht Müller eines seiner wichtigen Anliegen: die Beschäftigung mit Strukturprinzipien auf unterschiedlichsten Ebenen: "Ich bin auf der Suche nach Ordnungsstrukturen, die zugleich Strukturen der Erkenntnis sind. Wie ordnet sich Natur an? Den Punkt ausloten, wo die Strukturen der Natur und die Strukturen des Denkens sich treffen und ineinsfallen (Gitter, Raster, Muster, Schnitte)."

Martin Noël hat seine hier gezeigten Arbeiten aus Verbundenheit zu den beiden Literaten John Berger und John Yau "JOHN-Serie" genannt. Allen dreien ist das Suchen, Aufspüren und Sichtbarmachen des Wesentlichen, Prägnanten und Elementaren gemeinsam.
Der Künstler möchte den Betrachter mit seinen Holzschnitten zu dem einladen, was auch am Anfang seines eigenen schöpferischen Aktes steht: das Abenteuer des Sehens, das Entdecken der Schönheit und Bedeutung scheinbar unscheinbarer Dinge. Er lässt sich von Vorgefundenem inspirieren. Das können z.B. prägnante Risse oder Flecken auf Straßen oder Mauern sein, die er per Kamera, Transparentpapier oder Skizzenblock festhält. Das können aber ebenso interessante Linienkompositionen in den Werken anderer Künstler sein, die er separiert und bearbeitet. So sind seine Werke immer Teil von etwas, seien es Fragmente aus dem städtischen Leben oder aus dem kunsthistorischen Fundus.
Vor der Arbeit an den Druckstöcken entstehen Zeichnungen, in denen der Künstler die Kompositionen so lange auslotet, bis sie für ihn stimmen: Das Gefundene wird einer Bearbeitung unterzogen, Linien werden herauskristallisiert, Größe und Form verändert, die Komposition verwandelt. Erst dann wird der Entwurf ins Holz übertragen. So tritt dem Betrachter eine scheinbar abstrakte Bildkomposition gegenüber, die ihren Bezug zum alltäglichen Leben oder zur bildenden Kunst nicht Preis gibt.

In seinen Holzschnitten ist das Verhältnis von Linie und Fläche von zentraler Bedeutung. Es lassen sich verschiedene Spannungs- und Kompositionsverhältnisse aufweisen: Lineare Verzweigungen und Verästelungen stehen im Gegensatz zu Bündelungen und Verdichtungen. Netzwerkartige Ausbreitungen über die ganze Fläche kontrastieren mit partiellen Zentrenbildungen. Horizontal oder vertikal auf die Fläche gesetzte Linien erzeugen eine ruhige Komposition, während abgehackte, diagonal gesetzte und nervös wirkende Linien Dynamik und Unruhe hervorrufen.
Oft setzen die Linien an einem Bildrand an, enden am anderen und erwecken damit den Eindruck, als gingen sie über den Bildrand hinaus. Die als Fragmente angelegten Einzelbilder nehmen dadurch gleichsam Kontakt auf zu den nächsten Bildern, reichen zu ihnen hinüber und ergeben somit in der Zusammenschau des Ganzen einen eigenen Kosmos aus Linien und Flächen. Somit kann man die Arbeiten von Noël auf zweierlei Art erfahren: als einzelnen Holzschnitt mit seiner inneren Gesetzmäßigkeit und als Serie, bei der das Übergreifende sichtbar wird.

Beide Künstler, Thomas Müller und Martin Noël lassen in ihren Werken allgemeine Struktur- und Ordnungsprinzipien sichtbar werden, doch mit einem je eigenen Ausdrucksgehalt. Wirken die Holzschnitte von Thomas Müller ruhiger, ausgewogener und in sich geschlossener, so sind Martin Noëls Arbeiten dynamischer, unruhiger, fragmentarischer und damit offener und instabiler. Dieser Kontrast macht die Ausstellung im Brühler Kunstverein zu einem interessanten Erlebnis.

Liane Heinz M.A., Kunsthistorikerin