Brühler Kunstverein
Aktuell  Vorschau  Archiv  Exkursion  Jahresgaben  Publikationen  Historie  Mitgliedsantrag  Künstlerbewerbung  Partner & Sponsoren  Impressum 


  Bauflucht - Jochen Mura

Ausstellung vom 24. Oktober bis 20. November 2004



Mit seinen Fotografien und Objekten, die in den Räumen der Alten Schlosserei des Marienhospitals zu sehen sind, variiert Mura ein Thema, dem seit längerem seine künstlerische Aufmerksamkeit gilt. Dass wir Räume physisch "erleben", dass sie eine "Wirkung" auf uns erzielen, uns affizieren, all dies ist alltägliche Erfahrung. In Muras Werk nun avancieren Räume zu semiotischen Gebilden, zu Artefakten, die den Betrachter in komplex verschlüsselte, dabei unmittelbar erfahrbare Wahrnehmungssituationen verwickeln.

Jochen Muras Objekte zitieren so genannte Luftkanäle und Verdrängungsauslässe, Einheiten der industriell-technischen Welt. Dadurch, dass sie aus ihrem ursprünglichen Kontext isoliert sind, wirken diese "Versorgungsschächte", wie Jochen Mura sie nennt - hybride, modellhaft verkleinerte Raumgebilde aus Graupappe und Acrylglas -, merkwürdig funktionslos. Sie bieten sich dem Betrachter als offene, dabei aber undurchdringliche Konstruktionen dar, als irrational-unwirkliche Raumsituationen.

Ortung 3; ©Jochen Mura

Ortung 3, Fotografie auf Plexiglas

 

Die Fotoserie "Ortung 3", die Mura in Brühl ausstellt, korrespondiert direkt mit dem Thema der Versorgungsschächte. Die paarweise angeordneten Fotografien, auf denen aufgezogen hinter Plexiglas architektonische Details aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu sehen sind, formieren sich zu einer thematischen Serie mit übergreifender Bildaussage.

Jochen Mura will die künstlerische Auseinandersetzung mit Räumen, mit deren Dimensionen und Wirkungen auf die Wahrnehmung immer auch als eine konkrete Aufgabe "vor Ort" verstanden wissen. So hat der Künstler die Ausstellung in Brühl als eine temporäre Wand-Raum-Installation konzipiert, die erkennbar auf die individuellen räumlichen Gegebenheiten der Alten Schlosserei reagiert.

Jochen Mura, 1968 geboren, lebt und arbeitet in Aachen.

Jahresgaben 2005 des Brühler Kunstvereins von Jochen Mura

Zur Ausstellung bietet der Brühler Kunstverein zwei Jahresgaben von Jochen Mura an. Es handelt sich dabei um jeweils zwei Fotografien der Serie "Ortung 3", die in einer Auflage von jeweils fünf Arbeiten vorliegen. Der Preis beträgt pro Paar 110,- Euro, für Mitglieder des Vereins beträgt der Preis 90,- Euro. Die Fotografien sind auf Plexiglas aufgezogen.


Anmerkungen zur Ausstellung "Bauflucht" von Jochen Mura im Brühler Kunstverein

Bauflucht nennt Jochen Mura sein Konglomerat von Arbeiten, die er hier in der Schlosserei arrangiert hat. Wir sehen eigenartige Objekte an den Wänden, eine Ansammlung von Fotografien sowie ein Gebilde im Raum. Sehr unterschiedliche Arbeiten also, die unter dem vieldeutigen Titel zusammengefasst sind.

Jochen Mura ist Jahrgang 1968. Er hat eine Ausbildung zum Werbetechniker absolviert, sich anschließend in Richtung Gestaltung weitergebildet. Er ist sozusagen unbelastet von jeglicher akademischer künstlerischer Ausbildung, was ihm die Möglichkeit gab, einen ganz eigenen künstlerischen Weg zu finden. Dies tut er seit über 15 Jahren, begleitet seitdem auch von regelmäßiger Ausstellungstätigkeit. In diesem Jahr waren seine Arbeiten u.a. im Kunstverein Region Heinsberg, in der Galerie In Situ in Aalst, Belgien sowie in der Galerie Stefan Rasche in Münster zu sehen.

Jochen Mura arbeitet meistens mit einem starken Bezug zum Ausstellungsraum. Er hat sich auch in der vergangenen Woche intensiv mit der Alten Schlosserei auseinandergesetzt, hat sein Konzept überarbeitet, Eigenarten des Raumes aufgegriffen und in die Gesamtkonzeption mit einbezogen.

Wenden wir uns zunächst den "Versorgungsschächten" zu. Dieser Name lässt uns an etwas Technisches denken, die Kästen wirken auch sehr konstruiert und so, als hätten sie eine bestimmte Funktion zu erfüllen. Beim näheren Hinsehen entpuppen sie sich jedoch als fragile Objekte aus Karton. Die eingesetzten Scheiben in den Öffnungen ermöglichen zwar den Einblick, offenbaren jedoch kein geheimnisvolles Innenleben, allenfalls lassen sie die Vermutung zu, hinter den uneinsehbaren Ecken verberge sich noch etwas. Auch die Funktion eines Schachtes entpuppt sich als Täuschung, denn die Kästen sind in sich abgeschlossen, sie haben keine Verbindung etwa in die Wand hinein, können also auch nichts und niemand versorgen - wie etwa Frisch- oder Warmluft in den Raum einzuführen. Allenfalls wird der Betrachter "versorgt" mit einer Vielzahl von Einblicken, Aussichten und wechselnden Perspektiven. Inspiriert wird Mura bei diesen Arbeiten von Gebäudeteilen, Fenster- oder Türöffnungen.

Der Künstler ist ein Suchender nach diesen Elementen. Mit der Kamera hält er solche Gebäudeteile fest. Dabei ist ihm jeweils die Teilansicht wichtig, niemals das Haus in seiner Gesamtheit. Öffnungen, Durchgänge, der Blick in etwas hinein, aber auch Ausblicke sehen wir auf den ausgestellten Fotografien. Daneben gibt es Fassadenfragmente, Mauern in verschiedenen Materialien. Überwiegend in Grautönen. Die Fotografien sind paarweise zugeordnet - Verbindungselemente sind teilweise formale Kriterien wie Dreieck- oder Rechteckformen oder auch farbige Übereinstimmungen. Diese Paare sind wiederum in Gruppen zusammengefasst. Mura stellt so zwischen den Ansichten, die ganz verschiedenen Objekten entstammen, neue Bezüge her. Er arrangiert sie in einem Maß - rechteckig dem Format der Fotografien selbst entsprechend - das in seinen Ausmaßen wiederum einem standardisierten Fenstermaß entspricht. Mura schafft auf den Wänden der Schlosserei imaginäre Fenster, die uns neue, unbekannte Ausblicke eröffnen.

Bei dem Objekt in der Mitte des Raumes handelt es sich auf den ersten Blick um einen Kasten, teilweise angestrichen, der auf mehreren, winklig angeordneten Stelzen ruht. Darum herum sind mehrere quadratische und rechteckige Platten angeordnet. Bei dem Kasten handelt es sich um ein Fundstück, welches sich bei näherem Hinsehen als Schrank entpuppt, den jemand in einer sehr eigenwilligen Komposition zusammengesetzt hat. Mura hat diesen Schrank seiner Funktion enthoben, indem er seine Frontseite nach unten gedreht hat, dem direkten Blick also entzogen hat. Macht man sich die Mühe und schaut von unten in den Schrank hinein, entdeckt man eine gestaltete Holzfront, die man zunächst hinter dem aus Spanplatten zusammengezimmerten Korpus nicht vermutet. Darin verbirgt sich wiederum eines jener bereits bekannten Versorgungsschacht-Objekte. Für Mura wird dieser Schrank zum Teilstück einer Fassadenansicht. Die mit PVC-Stücken aus dem Baumarkt belegten Holzplatten zeichnen einen Grundriss auf den Boden der Schlosserei, die zum einen die Position des Schrankobjektes bestimmen, zum anderen einen Bezug zur Bodengestaltung der Schlosserei herstellen.

Die Objekte, die wir hier sehen, sind funktionslos, die Fotografien erheben keinen dokumentarischen Anspruch. Für den Künstler besitzen sie eine Allgemeingültigkeit. Sein Arrangement baut aufeinander auf, entwickelt Beziehungen zueinander und zum Raum, zu den Wänden, zum Boden. Für die Rezipienten ist dies eine Herausforderung, die Wahrnehmung des Raumes, der vielen von uns schon von anderen Ausstellungen her bekannt, zu überprüfen. Oft ist diese ja flüchtig, nach dem Verlassen kann man sich häufig nicht an Details erinnern. Durch die begrenzten Einblicke in die Guckkästen, die Ausblicke durch imaginäre Fenster auf die Fotografien oder den erschwerten Einblick in das Schrankobjekt kann sich unser Blick erweitern, über die ausgestellten Werke hinaus.

Im Katalog von Muras Ausstellung "begrenzte szenarien" steht ein Zitat von Thomas Strittmatter, das auch zu dieser Ausstellung gut passt und mit dem ich schließen möchte:

"Was mein Geist in diesen Leerräumen wohl tut? Keine Ahnung, seine Sache."

(Günter Wagner)