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Britta Lauer - Jenseits von Zeit
Arktis und Antarktis, die beiden entlegensten Punkte auf unserem Globus, regten seit jeher den Forschungsdrang und die Phantasie der Menschen an. Mit den eisbedeckten Polen verbanden sich Vorstellungen des Unberührten und Geheimnisvollen, aber auch des Gefährlichen und Unnahbaren. Sie sind bis heute Inbegriff einer lebensfeindlichen Umgebung.
Reisen ans nördliche und südliche Ende der Welt waren ein Thema in der Literatur, lange bevor die ersten Polarfahrer in diese Regionen aufbrachen. Schon seit dem Mittelalter malte sich die dichterische Phantasie aus, was die Menschen dort erwarten könnte - und es zeigte sich, dass die imaginären Expeditionen nicht weniger abenteuerlich waren als die Fahrten der realen Polarforscher.
Mit Einsetzen wirklicher Polarexpeditionen flossen deren Erkenntnisse dann auch in die Literatur ein, und in den Romanen und Erzählungen vermischten sich phantastische Passagen mit zeitgenössischem Faktenwissen und realen Erlebnissen.
Mit der Erkundung der Polarregionen waren die Mythen der Literatur endgültig widerlegt. An Stelle von Polargeistern, menschlichen und tierischen Ungeheuern, Eissphinxen und Wirbelströmen fanden sich nun in der Literatur nicht weniger aufregende Expeditionsgeschichten. Hinzu kamen die autobiographischen Erlebnisberichte derjenigen, die das Eismeer für sich als persönlichen Erfahrungsraum entdeckten.
Weiße Flecken auf der Landkarte
Erst im 16. Jahrhundert begannen die Westeuropäer, die Arktis zu erforschen und sich ernsthaft für die nördlichsten Breitengrade zu interessieren, zumal Handelsmöglichkeiten lockten. Im 17. Jahrhundert waren es die Walfänger, die ihre Kenntnisse über die Arktis nach Westeuropa brachten. 1820 erschienen dann auch die ersten Teile der Antarktis auf der Weltkarte, und schon bald darauf wurden auch dorthin Entdeckungsexpeditionen unternommen.
Um die weißen Flecken auf der Landkarte auszufüllen, haben sich immer wieder Wagemutige - trotz aller Strapazen und Entbehrungen - in diese unwirtlichen Regionen vorgewagt, und nicht wenige haben Abenteuerlust und Entdeckerdrang mit dem Leben bezahlt.
Wissenschaftler waren an den ersten Polarexpeditionen nur vereinzelt beteiligt. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Forschung zu einem wesentlichen Motiv für Polarreisen. Die damals einsetzende intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit diesen Regionen hat inzwischen die globale Bedeutung dieser einzigartigen Gebiete für das Leben auf unserer Erde verdeutlicht, unter anderem in Hinblick auf die globale Klimaentwicklung.
Mit der veränderten politischen Situation in Osteuropa haben sich in den letzten Jahren neue Möglichkeiten aufgetan. Bisher nicht zugängliche Gebiete öffnen sich nun der internationalen Polarforschung, und es entstehen neue Formen der Zusammenarbeit mit osteuropäischen Wissenschaftlern.
Britta Lauers persönliche Entdeckungen
Die Zeit der Entdeckungen in den Polarregionen ist noch nicht abgeschlossen. Und damit kommen wir zu Britta Lauer und ihrer persönlichen Entdeckung von Arktis und Antarktis:
Britta Lauer hatte zwischen 1994 und 1999 Gelegenheit, an drei Expeditionen des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung auf dem deutschen Forschungsschiff "Polarstern" teilzunehmen. Die hier gezeigten Photographien stellen eine Auswahl von Arbeiten dar, die während dieser Expeditionen entstanden sind.
Wie kam Britta Lauer zu dieser außergewöhnlichen Gelegenheit?
1993 installierte der Kölner Künstler Lutz Fritsch auf der "Polarstern" eine Skulptur. Britta Lauer war mit der photographischen Dokumentation des Unternehmens beauftragt. Aus dieser Zusammenarbeit zwischen Kunst und Wissenschaft entstand die Idee, Künstler mit auf eine Forschungsreise zu nehmen.
Für eine Expedition reichen verschiedene Wissenschaftler - Meeresbiologen, Ozeanographen, Meteorologen, Geowissenschaftler, Biologen, Chemiker und Glaziologen - beim Alfred-Wegener-Institut ihre jeweiligen Forschungsvorhaben ein, und dementsprechend wird jeweils die Route der "Polarstern" festgelegt. 1994 konnten auch Lutz Fritsch und Britta Lauer von Südchile aus zum antarktischen Festland mitfahren.
Austausch mit den Wissenschaftlern
1997 und 1999 nahm Britta Lauer dann auch an Fahrten in die Arktis teil - und zwar von Nordnorwegen zur Ostküste Grönlands und nach Spitzbergen. Die Expeditionen dauerten jeweils sieben Wochen, und sie fanden im arktischen Sommer statt, in dem die Nächte beinahe so hell sind wie die Tage.
Aktiv hat Britta Lauer den Austausch mit den Wissenschaftlern gesucht, indem sie diese in ihren Laboren besuchte und ihnen über die Schulter geschaut hat. Abends stellten alle Expeditionsteilnehmer ihre Projekte und Arbeiten vor - ebenso Britta Lauer, so dass ein reger Austausch zwischen Kunst und Wissenschaft stattfand.
Für ihre erste Fahrt hatte Britta Lauer sich in der Bibliothek des Alfred-Wegener-Instituts in Bremen vorbereitet. Vor allem interessierte sie, wie Photographen vor ihr diese einzigartigen Landschaften aufgenommen hatten.
Auf der ersten Reise fand Britta Lauer, nachdem sie sich mit dem Schiff vertraut gemacht hatte, am Peildeck einen idealen Standpunkt, von dem aus sie ihre Photos machen konnte, bevor das Eis von dem fahrenden Schiff zerstört wurde. Oft stand sie stundenlang an der Reling und wartete geduldig, bis sie interessante Strukturen im Eis entdeckte. Gleichzeitig hat sie sich so mit dem für sie fremden Motiv vertraut gemacht. Gelegentlich konnte Britta Lauer auch vom Helikopter aus - abenteuerlich bei offener Tür - oder auch im Gelände photographieren.
Das Spiel von Licht, Form und Farbe
Die außergewöhnlichen Bedingungen ließen es selten zu, die Eislandschaft unverfälscht und in Ruhe zu sehen: Der notwendige Augenschutz veränderte die Farben; gleißendes Licht überstrahlte alle Farben und Formen, und die Fahrt des Schiffes ließ das Spiel von Licht, Form und Farbe auf dem Eis noch flüchtiger werden. Und das Wetter war nur selten gut. Trotzdem vergaß Britta Lauer beim Photographieren alles um sich herum und hat sich manches Mal trotz Fingerschutz fast die Finger erfroren.
Eigentümlicherweise sind den Photographien die Standorte Lauers - auf dem vibrierenden Schiff, im tiefen Schnee oder im fliegenden Hubschrauber - und die widrigen Arbeitsbedingungen in einer Kälte von bis zu minus 37 Grad nicht anzumerken. Obwohl Britta Lauer die weitaus meisten Aufnahmen vom fahrenden Schiff aus gemacht hat, wird dies nirgendwo sichtbar, nicht einmal die Reling, über die hinweg sie photographierte. Aufnahmen aus dem Hubschrauber sind denen vom 12 Meter hohen Peildeck aus ganz ähnlich.
Der Grund liegt darin, dass sie - unabhängig vom jeweiligen Standort - die Kamera meistens senkrecht nach unten hält. Ihre Arbeitsweise besteht darin, das Motiv zu entdecken, das Bild im Sucher zu komponieren und dann auszulösen - ein Tun von Sekunden und eine Vorgehensweise, die angesichts der schnellen Veränderbarkeit der Eisstrukturen und durch das fahrende Schiff sehr sinnvoll ist.
Im Nachhinein verändert Britta Lauer ihre Photos in keiner Weise.
Entgegen einer Sichtweise, die Landschaft, Horizont und Himmel panoramaartig in den Blick nimmt, richtet Britta Lauer ihr Augenmerk auf die Vielfalt und Faszination detaillierter Eismeerstrukturen. Die Überschaubarkeit der Landschaft weicht somit Ausschnitten, die keinerlei Rückschlüsse auf räumliche Dimensionen zulassen.
Durch ihre Vorgehensweise, die Kamera steil nach unten auf Wasser und Eis zu richten, wird die räumliche Tiefendimension zugunsten der bildnerischen Fläche zurückgedrängt. Gelegentlich erscheint sie sogar völlig aufgehoben.
Damit richtet die Photographin die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die Flächengestaltung des Bildes, die ein völlig abstraktes Eigenleben führen kann. Diese Raumlosigkeit der Photographien lässt die arktische Landschaft und das Eis als etwas schwer zu enträtselndes erscheinen.
Die Arktis bietet keine Maßstäbe
Bewusst vermeidet sie jedes Motiv, das einen Maßstab in ihre Bilder einführen würde, etwa einen Menschen. Schon auf ihrer ersten Reise stellte Britta Lauer fest, dass die arktische Region keine fassbaren Maßstäbe und Orientierungen bietet. Diese Maßstablosigkeit drückt sich in ihren Arbeiten aus:
Oft kann der erste Blick des Betrachters nicht unterscheiden, ob es sich um einen größeren Landschaftsausschnitt oder nur um eine wenige Meter umfassende Eisfläche handelt. Britta Lauers Konzentration auf das Fragmentarische, Ausschnitthafte, auf das Detail bewirkt eine nicht unbeträchtliche Orientierungslosigkeit des Betrachters hinsichtlich der wirklichen Größenverhältnisse und räumlichen Ausdehnung.
Sobald sie räumliche Dimensionen zulässt, mildert sich der Eindruck des Fremdartigen wieder. Das gilt besonders für die wenigen Photographien, die wir als Landschaften im eigentlichen Sinne wahrnehmen - zeigen sie doch einen Horizont, der Eismeer und Himmel scheidet und somit dem Betrachter wieder eine vertraute Orientierungsmöglichkeit bieten.
Da sie keine landschaftlichen Impressionen liefern, sind Britta Lauers Photographien auch keine Reisebilder im herkömmlichen Sinne, obwohl sie auf einer Reise entstanden sind. Der Betrachter bekommt auch kein Gefühl für die Gefährlichkeit und Unwirtlichkeit der arktischen Gebiete. Diese Photographien haben nichts zu tun mit der mythischen Polarlandschaft der Literatur noch mit dem lebensbedrohlichen Eismeer, dem die Polarfahrer trotzten.
Stattdessen zeigen sie: Eismeerstrukturen, das ständig sich wandelnde Wechselspiel zwischen Wasser, Eis, Schnee, Licht und Schatten, die eindrucksvollen Prozesse und Stadien der Eisbildung, unterschiedliche Form- und Farbausprägungen des Eises unter verschiedenen extremen Witterungsbedingungen - eine ganze "Phänomenologie des Eises"! Wir sehen die Gleichförmigkeit in der zarten Musterung einer geschlossenen Neueisdecke, aber auch die rätselhaft wirkende Durchlöcherung von Neueis durch Schmelzprozesse. Der Betrachter wird der Zartheit und Fragilität dünner Neueisdecken ansichtig. In diesen frühen Stadien ist das Eis noch durch tiefblaue Töne charakterisiert. Erst durch das Anfrieren von weiterem Meerwasser wird es dann dicker und auch heller. Seine Farbigkeit geht in Weiß über.
In dieser Frühphase der Eisbildung kann es zur Ausbildung von Fingereis kommen, wenn aneinanderstoßende Eisplatten in rechteckige Segmente aufbrechen und sich wie die Finger zweier ineinander verschränkter Hände über- und untereinanderschieben. Eindrucksvoll hat Britta Lauer eine solche Formation diagonal ins Bild gesetzt.
Durch Wind und Wellengang entstehende vielschichtig verschränkte Neueisverschiebungen rufen bizarre Flächengefüge hervor, die in ihrer horizontalen, vertikalen und auch diagonalen Ausrichtung die Bildflächen bestimmen.
Farblich werden diese Photographien durch das kontrastreiche Zusammenspiel tiefdunkler Blautöne und leuchtender Weißtöne beherrscht.
Das Spiel mit den Gletschern
Britta Lauer zeigt das Licht- und Schattenspiel auf uraltem Gletschereis, das durch die Jahrtausende eine fast gleichmäßige Struktur von tiefen Einkerbungen und zerfurchten Erhebungen erhalten hat. Wieder andere Gletscherformationen löst die Photographin fast gänzlich zu graphischen Linien in der Bildfläche auf.
Sie lässt die arktische Landschaft zu fast abstrakten Bildkompositionen aus graphischen Linien, Strukturen und Farbwerten werden - zu einem ästhetisierten Naturraum, der keine Geschichten mehr erzählt.
So besteht die Überzeugungskraft ihrer Photographien darin, dass sie die form- und strukturgebenden Kräfte, die im Eismeer wirksam sind, zu bildbestimmenden Faktoren werden lässt.
Sie dokumentieren verschiedenste Zustände und Strukturen des arktischen und antarktischen Eises: eine fremde und kontrastreiche Welt von kompakten, gewaltigen Gletscherformationen und dünnen, fragilen Eiskrusten, von uralten Eisbergen und flüchtig sich bildendem und wieder vergehendem Eisgefüge in einem nuancenreichem Farbspektrum von Weiß-, Grau-, Blau- und Türkistönen.
Dieser dokumentarische Charakter der Photographien wird durch den hohen Abstraktionsgrad und die Ausschnitthaftigkeit (die Isolation des Gesehenen vom realen Erlebnisraum), die zu einer Verrätselung der Motive führen, wieder gebrochen.
Zugleich kontrastiert das Bestreben, die gesehenen Gegebenheiten so sachlich wie möglich mit der Kamera einzufangen, ohne Geschichten zu erzählen oder gefühlsmäßigen Momenten Raum geben zu wollen, mit einer durchaus subjektiven Sichtweise, die in den Oberflächenstrukturen des Eismeeres eine fremdartige, rätselhafte und geheimnisvolle Schönheit entdeckt. Mit ihren Bildern eröffnet sie dem Betrachter diese faszinierende Welt, die jenseits von Raum und Zeit zu existieren scheint.
© Liane Heinz M.A.
Biografie
1945 geboren in Aussig/Elbe,CSR,
aufgewachsen in Leipzig , DDR
1958 übersiedelt in die Bundesrepublik
1983 - 1987 Ausbildung bei Prof. Erich vom Endt und
Prof. Inge Osswald, GH Universität Essen (Folkwang)
1989 Kunstpreis der Siemens Nixdorf AG Duisburg
Einzelausstellungen
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