| Nichtsdestotrotz ist der Betrachter eingeladen, die Werke von Homa Emami zu studieren und zu erforschen, wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Es wird sich noch zeigen, dass gerade dieses Sich-bemühen-müssen des Betrachters ein wesentliches Merkmal der Arbeiten darstellt.
Homa Emami hat in den siebziger Jahren an der Universität Teheran Bildhauerei studiert. Seit 1986 lebt sie in Deutschland und hat in den Jahren 1989 bis 1993 an der Fachhochschule für Kunst und Design Köln ein Studium der freien Malerei absolviert. Als freie Künstlerin entwickelt sie seitdem ihre eigene Kunstsprache im Umgang mit ihrer Alltagswelt.
Im Brühler Kunstverein zeigt Homa Emami Werke der letzten zehn Jahre. Diese werden jedoch nicht einfach querschnittartig vorgestellt - vielmehr sind sie konzeptuell zu einer neuartigen Rauminstallation arrangiert worden: zu einer Art Kunstkammer des Alltäglichen. In diesem übergeordneten Rahmen zeigt Homa Emami Ausschnitte aus verschiedenen Installationen und Fragmente von Werk-Serien als eine Art geordnetes Sammelsurium, das collage- und assemblageartig zusammengestellt ist. Der Betrachter hat somit die Möglichkeit, die Arbeitsweise der Künstlerin, die verwendeten Materialien der Kunstwerke und die Inhalte ihrer Arbeiten zu studieren und zu erforschen.
Einige dieser Werke möchte ich nun näher vorstellen:
Die Aspekte von Konservierung und Verwandlung beherrschen ihre Arbeit ART Recycling (1986-97), für die Homa Emami anfangs eigene ältere Bilder, aber auch Zeitungen verwendete. In langwierigen Prozeduren hat sie diese Materialien mit Leim, Wachs und Pigmenten vermischt und dann in Eiscremekisten gedrückt und gepresst.
Nach dem Härtungsprozess ergaben sich quaderartige Blöcke, die die Künstlerin in einer Installation in großer Anzahl akribisch in Schränken oder zu Stapeln aufgeschichtet hat. Somit wird ein stoffliches Konglomerat der Gemälde und der Zeitungen (als Zeugnisse des Zeitgeschehens) platzsparend aufbewahrt und archiviert. Die einstige inhaltliche Information der Bilder und Zeitungen wird bei dieser Transformation allerdings unzugänglich. Was bleibt, sind geschichtete und wohl geordnete Päckchen, deren inhaltliche Essenz verborgen bleibt: persönliche und zeitgeschichtliche Zeugnisse, geronnen zu normierten und unlesbaren plastischen Objekten.
Der ART Küchenkalender
Der Gedanke, zu dokumentieren, was in ihrer alltäglichen Umgebung wichtig ist, führte zur Entstehung des ART Küchenkalenders. Im August 1997 hatte die Künstlerin diese Arbeit begonnen und im Jahr 2000 beendet.
Sie hat über diesen Zeitraum systematisch pro Tag eine Mahlzeit, die sie gekocht hat, dokumentiert: Dafür hat sie von der Mahlzeit einen Löffel entnommen und die Substanz auf einem DIN A4 Blatt (im oberen Drittel) kreisrund verteilt. Unter diesem Kreis hat sie - allerdings in persischer Schrift - mit fast wissenschaftlicher Akribie die Ingredienzien des Gerichts aufgeschrieben. So trocknen etwa am 25.9.1998 Lachs, Öl, Estragon, Salz, Pfeffer Knoblauch, Safran, Balsamico auf einem Papier.
Die einzelnen Zutaten wurden dann codiert: Zum Beispiel wurde der Zutat Wasser die Ziffer 1 zugeordnet, dem Salz die Ziffer 2. Die Ziffern wie auch das Herstellungsdatum des Gerichts wurden auf die Vor- und Rückseite schmaler Papierbänder geschrieben und dem jeweiligen Dokumentationsblatt zugeordnet.
Die gesamte Arbeit wurde dann horizontal und vertikal an den Wänden angeordnet, teilweise begleitet von großformatigen Wandbildern, so genannten Code-Bildern. Den dort aufgeschriebenen Zahlen lassen sich ebenfalls mittels einer Liste die entsprechenden Lebensmittel zuordnen. Zum Beispiel sind die persischen Zahlen des dunkelgrauen Bildes den Zutaten für das Grundnahrungsmittel Brot, nämlich Mehl, Wasser, Salz und Hefe zugewiesen.
Sofern die Arbeit nicht in einer Ausstellung gezeigt wird, bewahrt Homa Emami die Blätter chronologisch sortiert in Pappkartons auf. Die Papierbänder werden dafür wieder von den Blättern abgenommen und auf Pappdeckeln - wiederum chronologisch - geordnet. Für die nächste Ausstellung werden Blatt und Papierband dann wieder miteinander verbunden.
In dieser umfangreichen Arbeit, von der hier nur ein Bruchteil gezeigt wird, kommen mehrere Aspekte zum Tragen:
Homa Emami hat quasi ein Tagebuch der täglichen Mahlzeiten geschaffen, eine Art Rezeptsammlung. In dieser Arbeit offenbart sich ein sehr exaktes, aber aufwändiges System der Fixierung, Aufbewahrung und Archivierung.
Doch weder die akribische Auflistung der Zutaten in persischer Sprache noch das Anschauungsmaterial selber helfen dem Betrachter bei der Enträtselung der Gerichte weiter. Abgesehen davon lassen sich die verschiedenen Zutaten der zu Farbspuren getrockneten Mahlzeiten schwer festmachen, da sie einem Alterungs- und damit Veränderungsprozess unterworfen sind. Und wer der persischen Sprache nicht mächtig ist, kann nur versuchen, die Zutaten mit Hilfe einer Liste, in der neben den Zahlen die zugeordneten Lebensmittel in deutscher Sprache stehen, zu dechiffrieren.
Erschwerend für das sich bemühende Verstehen-wollen ist der Aspekt des Bilingualen: Homa Emami jongliert mit persischer und deutscher Sprache wie auch mit persischen und arabischen Zahlen. Anklänge an ein zweisprachiges Lexikon werden wachgerufen - und das forschende Publikum erkennt, wie mühsam die Entschlüsselung ist.
Homa Emami schickt den interessierten Betrachter also auf eine Verständnissuche, und ganz bewusst erschwert sie die Zugangsweise zu ihrem Werk. Mag es den Betrachter damit konfrontieren, wie schwierig es ist, sich in einer fremden Sprache, einem fremden Zeichensystem und damit auch in einer fremden Kultur zurechtzufinden - ein indirekter Verweis auch auf Migrationsprobleme.
Die Fotoinstallation Garten
Der Begriff Garten bedeutet ursprünglich Hof und Umzäunung und bezeichnet somit das von der wilden und unkultivierten Natur abgegrenzte und durch menschliche Hand bearbeitete Stück Land. Auch der Paradiesgarten war ein ausgegrenzter Bereich. Das Wort Paradies geht auf das iranisches Wort pairi-daeza gleich Umwallung und auf das altpersische Wort paridaida gleich Lustgarten, Wildpark zurück. In die griechische Sprache gelangt das Wort, weil der griechische Schriftsteller Xenophon es für die Bezeichnung der Parks persischer Adeliger und Könige gebrauchte. Schließlich wird es zu einem Terminus der christlichen Mythologie, da es in der griechischen Bibel als Begriff für den Garten Eden gebraucht wird.
Homa Emami hat nun einen ganz eigenwilligen Garten geschaffen:
Aus Kunststoff-Flaschen ranken getrocknete Schilfhalme, denen Farbfotos von Pflanzen angeheftet sind. Andere Halme fußen in tönernen Sockeln, die stellvertretend für die Erde als Grundlage pflanzlichen Wachstums fungieren. Die Fotos zeigen Blätter und Pflanzen aus verschiedenen Regionen der Welt und lassen sich in drei Kategorien unterteilen:
Zum Einen hat die Künstlerin Blätter fotografiert, deren Ursprungspflanzen einstmals nach Deutschland importiert wurden. Sie wurden einzeln und isoliert vor einem weißem Hintergrund fotografiert, so dass wiederum der Eindruck einer wissenschaftlichen Dokumentation entsteht. Vor der Ablichtung hat die Künstlerin die Namen der Ursprungsländer (z.B. Papua-Neuginea) in deutscher Sprache auf die Blätter geschrieben. Die Namen der jeweils zugehörigen Bäume hingegen stehen - wiederum codiert - in persischen Zahlen auf den Blättern. Auch sie sind nur mit Hilfe einer Liste zu dechiffrieren.
So wie Menschen in fremde Länder umsiedeln, werden auch Pflanzen in eine fremde Welt integriert. Manche von ihnen überleben im fremden Klima, für andere ist die neue Umgebung zu fremdartig, als das sie sich anpassen könnten. Homa Emami greift bei dieser Arbeit die Tatsache auf, dass auch Pflanzen alles andere als sesshaft sind. Gleichzeitig spiegelt sich in der Verbreitung von Pflanzenkulturen die Migrationsbewegung von Menschen.
Die zweite Kategorie der Fotos zeigt Pflanzenblätter (ebenfalls vor weißem Hintergrund), auf die Homa Emami in persischer Schrift die Namen von öffentlichen Gartenanlagen geschrieben hat, die sie in ihrer Kindheit im Iran kannte und schätzte, und die heute nicht mehr existieren.
Bei der dritten Kategorie handelt es sich um ausschnittartige Aufnahmen von zeitgenössischen Gärten. Sie beherrschen das ganze Foto.
Der Garten entpuppt sich bei Homa Emami somit als ein Ort, in dem vielschichtige Aspekte miteinander verwoben werden:
In ihrer Arbeit vereint die Künstlerin Vergangenes und Gegenwärtiges. Sie verweist auf Wanderung und Auswanderung, Assimilation und Integration. Subjektive Erlebnisse und Erinnerungen werden mit einer objektivierenden, quasi-enzyklopädischen Erfassung der Natur archiviert.
no comment days
Die letzte Arbeit, auf die ich eingehen möchte, ist aktuell in den letzten Wochen entstanden. Sie trägt den Titel no comment days, den die Künstlerin auch für die gesamte Ausstellung gewählt hat, und beginnt mit dem 20. März 2003, dem Beginn des Krieges der USA gegen den Irak. Für jeden Tag bis heute hat die Künstlerin ein Schild mit dem jeweiligen Tagesdatum gefertigt, darunter der Vorname eines Kindes, das an diesem Tag geboren ist. Manchmal sind noch zusätzliche Informationen, wie Gewicht und Größe des Kindes, notiert. (Diese Daten sind übrigens real und nicht fiktiv.)
Kriegs-Tage wie auch Geburts-Tage werden in der Arbeit der Künstlerin datenmäßig erfasst und damit wiederum zu einer Ansammlung von Ziffern und Buchstaben. Homa Emami zeigt weder Schrecken noch Grauen, weder Schmerzen noch Freude oder Tränen. Vielmehr werden diese Emotionen in neutralen Zeichensystemen erfasst und archiviert. Es sind mit Absicht unkommentierte Tage, no comment days. Der Betrachter allerdings ist angeregt, Namen, Zahlen und Ziffern in seiner Fantasie wiederum zu Geschehnissen und Erlebnissen zu ergänzen.
No comment - der interessierte Betrachter steht auch der assemblageartigen Zusammenfügung verschiedener Werk-Fragmente kommentarlos gegenüber. Zuckerstückchen lagern neben Gebilden aus dem Inhalt von Staubsaugerbeuteln. Gerahmte Papierarbeiten lagern neben kugeligen Formen. Reale Lebensmittel treffen sich mit Wachs-Nudeln, gerolltes Pergamentpapier mit gepresstem Zeitungspapier.
Homa Emamis Gestaltungskunst, ihr künstlerischer Umgang mit den Farben, den Formen und den Materialien und vor allem ihr subtiles Arrangement der Teile lässt ein eigenes, sinnliches und ästhetisches Ganzes entstehen.
Die Künstlerin zeigt sich als Sammlerin von alltäglichem Sein und alltäglichen Gegenständen. Indem sie in ihrer Kunst archivalische, wissenschaftliche und museale Ordnungssysteme zitiert, schafft sie gleichsam ein Arsenal der Erinnerung. Und so hat der Betrachter auch das Gefühl, einen Blick in ein museales Archiv zu werfen, in dem die unterschiedlichsten Gegenstände fein säuberlich aufbewahrt sind, vor Berührung, Zugriff und Staub durch Plastikplanen geschützt. Diese verhüllen das Ganze und lassen es zugleich durchscheinen. Der Zugang und die genauere Erforschung durch den Betrachter sind damit erschwert - und zugleich herausgefordert.
Mich persönlich hat diese Rauminstallation an einen archäologischen Arbeitsplatz erinnert, an dem Wissenschaftler all die ausgegrabenen Scherben und Fundstücke einer vergangenen Kultur auf einem großen Tisch ausgebreitet haben, die nun noch auf ihre ordnungsgemäße Zusammenfügung und Sinngebung warten.
Ich habe in den letzten fünf Jahren viele Ausstellungen betreut, mit vorbereitet und auch Texte dazu geschrieben. Einige dieser Ausstellungen habe ich besonders ins Herz geschlossen, und diese Ausstellung gehört dazu.
Liane Heinz M.A., Kunsthistorikerin
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