Brühler Kunstverein
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NAH - Heiner Blumenthal

Neue Bilder und Papierarbeiten

Ausstellung vom 13. Februar bis 12. März 2005

In der Ausstellung des Brühler Kunstvereins zeigt der Kölner Künstler Heiner Blumenthal neue Bilder und Lithografien. Die großformatigen Bilder sind mit schwarzem Pigment auf ungrundierte Leinwand gemalt. Sie wirken wie Ausschnitte raumausgreifender Konstruktionen, die zwischen Statik und Dynamik wechseln, und deren oft scharfkantig gesetztes Formvokabular immer wieder morbide ausfranst und in weiche, fast organisch anmutende Formen umschlägt. Das scheinbar Konstruktive wird so immer wieder unterlaufen um die Bilder zu öffnen und den Blick weiterzuleiten auf die großen Teile unbemalter Leinwandfläche und den die Bilder umgebenden Raum.

Der Titel "NAH" bezieht sich auf das Paradox einer gleichzeitigen Nähe und Ferne in den Bildern. Die Nähe ist die physikalische Präsenz der Bilder als ein Gegenüber für den Betrachter, diesen zuweilen überragend ohne Größe als Größe ausspielen zu wollen.



©Blumenthal

ohne Titel, 2005, Pigment/Lwd.

 

Die Ferne entsteht im Umschlagen des Sehens als "reine" Wahrnehmung in eine assoziative, imaginäre Sehbewegung, die durch die Offenheit der Bilder, das jähe Abbrechen der Konstruktionen, die leeren Bildflächen provoziert wird. Im Akt des Sehens wird der Betrachter auf seine eigene Sehbewegung und so auf sein eigenes Selbst zurückverwiesen. Die Bilder sind in diesem Sinne wie Spiegel des eigenen Sehens.

Die einfarbigen, aber in wechselnden Farben gedruckten Lithografien sind mit Tusche auf dem Stein gemalte, oft sehr lose angesiedelte Pinselspuren, die zuweilen wie um eine imaginäre Konstruktion zu kreisen scheinen. Nicht kalligrafisch gemeint wirken sie wie mit dem Pinsel gesetzte Kürzel oder Andeutungen von etwas, ohne sich je in die Eindeutigkeit einer Darstellung übersetzen zu lassen. Sie stoppen immer kurz davor und lassen so den Blick des Betrachters quasi in ihrem "Geflecht" hängen. Die Zeichnung bricht oft kurz vor dem Rand der Blätter ab und sprengt so immer wieder die Begrenzung des eigenen Formats. Die Lithografien strahlen so gewissermaßen - ähnlich wie die großformatigen Malereien - auf die sie umgebende leere Wandfläche aus und beziehen sie damit in ihrer Konstruktion mit ein wie ein endloser Raum, ein unbegrenztes Format.

 

Biografische Angaben

Heiner Blumenthal, 1956 geboren, lebt und arbeitet in Köln. Der Künstler vertritt eine völlig eigenständige Position innerhalb der Medien Malerei, Zeichnung und Fotografie. Blumenthal war 2000 Stipendiat der Elizabeth Foundation in New York und 1999 Preisträger der Villa Romana in Florenz. Seine Arbeiten betrachten und handeln vom Ort ihres Erscheinens, aus der Potenzialität ihres jeweiligen Mediums heraus sowie deren spezifische, wirklichkeitserstellende Ebene.

Einladungskarte; ©Blumenthal

Einladungskarte zur Ausstellung

 

Präzise Beschreibungen provisorischer Orte

Zu den Arbeiten von Heiner Blumenthal

Um eine "reine", ungegenständliche Malerei geht es Heiner Blumenthal nicht. Schon die parallel zum malerischen und zeichnerischen Werk entstehenden Schwarzweißfotografien machen dies augenfällig, wie en passant aufgenommene nächtliche Gebäude und Fassadendetails aus kurzer Distanz gesehene Hände, Füße und Köpfe (von Skulpturen, Wachsfiguren) und präparierte Tiere sind wichtige Motivgruppen. Diese fotografischen Übersetzungen teilen mit den Malereien und Zeichnungen den ihnen gemeinsamen, sie hervorbringenden Blick. Die Auseinandersetzung des Betrachters mit den zeichnerischen und malerischen Arbeiten, vermeintlich weit von den Fotografien entfernten Werken, ist begleitet von der Empfindung etwas zu sehen, das so nur im Bild, durch das Bild sein kann, trotzdem aber Beziehungen zum Rest der Welt unterhält. Auf eine nicht näher bestimmbare Weise ist Wirklichkeit (verstanden als all das, was wirkt) in ihnen gegenwärtig.

Mitunter deutet sich in den Malereien etwas an (wie auch die Fotos Andeutungen sind, ein Blick, ein Augenblick, was es ist, ist es unter Vorbehalt, vorläufig. Denken lassen sie an Topographien imaginärer Gegenden, Erinnerungsreste, Apparatives und Konstruktionen, Pläne und Grundrisse. Alles mögliche Gesehene ist in ihnen aufgehoben, vielfach gefiltert und verwandeln, konzentriert schließlich in Malereien, die etwas noch vor den Begriffen Liegendes zeigen. Greifbar, dingfest zu machen, ist das Gezeigte nicht. Alle Übersetzungen in Sprache, Außerbildliches sind gleich gültig, endgültig wird keine von ihnen sein. So bleibt das Auge in einer permanenten Such- und Sehbewegung, ist im Bild unterwegs, ohne an ein Ziel zu gelangen, zu einem Ergebnis kommen zu müssen.

Fotografie und Malerei, auch die nur schwer reproduzierbaren Zeichnungen (sparsame, oft winzige Liniengebilde, im weiten Raum des weißen Papiers, Bleistiftgebiete durchdringen, kommentieren und relativieren sich wechselseitig. Sie zeigen unterschiedliche Facetten, Möglichkeiten eines Sehens. Zwischen ihnen vermittelt das Betrachterauge, gleich einem Gelenk realisiert es die unterschiedlichen Bewegungs- und Entdeckungsmöglichkeiten der drei Bildformen: Wirklichkeit hält jede von ihnen auf eigene Weise präsent.

Sieht man bei Betrachtung der Fotografien ab vom Benennbaren, blickt man in die Zwischenräume oder folgt den Rändern der Dinge, sieht man die Aufnahmen mit dem Blick, der den Malereien gelten könnte, so zeigt sich: der Rhythmus der Zehen, der rechte Winkel des Fensters hinter dem Tier, die spannungsvolle Ruhe der Linie zwischen Hand und Gewand, all dies hat Entsprechungen in den Malereien aus Harzfarbe auf ungrundierter Baumwolle.

Konstruktionen sind diese nicht, trotz der rechten Winkel, dem scheinbar Ausgemessenen, den diffizilen, mitunter verqueren rhythmischen Gliederungen der Fläche. Dem steht der absichtsvolle Wechsel zwischen harten Konturen und verfließenden Grenzen, eine eigentümliche Weichheit des Gemalten entgegen. Deutlich ist ihr allmähliches, manchmal zögerndes, stockendes Wachstum, die Spuren des Bauens (Abklebungen, die tuchfarbene Hohlräume, Kavernen in den Bahnen, Feldern hinterlassen und Durchlässe, Unterbrechungen, Öffnungen schaffen). Linien dominieren, ab und zu eine Schlaufe, Gebogenes, manchmal eine Diagonale. Die dann gleich einer Klammer, einer raumgreifenden Bewegung vieles zusammenfasst, zusammenhält und zugleich die Ordnung durchkreuzt, sie stört und wieder herstellt, umgeordnet.

Aus der Nähe ein anderes Bild: Sichtbar wird die Vielfarbigkeit dieser Malerei, die Schattierungen von dunklem Blau, Grün, tiefem Rot, die einander überlagern, sich ineinander schieben zu einem farbbewegten Schwarz; in neuen Arbeiten kommen ungebrochene Töne, helles Blau, verhalten strahlendes Rot hinzu. Deutlicher zeigen sich die Wolken, Ausblühungen, Auflösungen, die knappen Setzungen mit fast trockenem Pinsel, anderes könnte eingerieben oder gestempelt sein. Zu sehen sind die Anhängsel und Übertritte, Flecken und kalkulierte Kleinformen, sie gleichen Unebenheiten, sind Lebendigkeitsmakel, Hinweise, manchmal ironische Einsprüche. So entstehen die Bilder unter den Augen des Betrachters, ein langsames Immermehr, als würden sie sich beim Sehen füllen, dichter und voller werden, einen Zuwachs an Sichtbarem erfahren. Großzügig bemessen ist die Leere in den Bildern Heiner Blumenthals. Großflächig öffnet sich der Fond mit seiner leicht gebrochenen Helligkeit, bildet eine offene Zone eigenen Rechts, bietet inmitten der, hinter den Lineaturen ein Areal der Ruhe, gelassener Stille. Dann aber kippt diese Helligkeit zurück in die Faktizität des Materials, wird wieder Baumwolle, Feld bildnerischer Geschehnisse.

Spielt die Malerei mit der Möglichkeit gegenständlicher Wahrnehmungen, so geht Blumenthal in seinen Fotografien einen umgekehrten Weg. Sie entfernen sich in mehrfacher Hinsicht von den Dingen. Hand und Fuß gehören zu Wachsfiguren, das Tier am Fenster ist ein Präparat. Zudem werden diese Reproduktionen nach dem Leben durch allzu große Nähe zum Gegenstand dem leichten Erkennen wieder entzogen. Die entstehenden Unschärfen - wie auch die klärende Zusammenhänge meidenden engen Bildausschnitte - entwirklichen das Gezeigte, so dass die Aufnahmen alles Geläufige gegen ein irritierendes Fremdsein tauschen. Nur gebrochen ist Realität im reich nuancierten Grau, dem tiefen Schwarz dieser artifiziellen Bilder gegenwärtig.

Wer die Arbeiten Blumenthals sieht, bleibt nicht beim Gegebenen, Sichtbaren. Das Sehen wird zu einem Anreichern des Bildes kraft des eigenen, individuellen visuellen Vermögens. Das Bild entsteht aus der Transformation des Tatsächlichen, dem, was als visueller Bestand gesehen wird und durch Hinzusehen, Dabeidenken, Vermuten des Einzelnen. So weitet sich das Bild in der Betrachtung zu einem mit stets vorläufigen Bedeutungen, Mutmaßungen, Empfindungen aufgeladenen Raum; ausgespannt zwischen der visuellen Wirklichkeit des Bildes und den Möglichkeiten des individuellen Sehens. Wie von selbst entfaltet sich dabei das Bild als imaginärer Ort, als persönliches Refugium, als Echo- und Freiraum des Betrachters, durch den sich der Einzelne im Bildwahrnehmungsgemenge aus Sehen, Empfinden, Denken und Imaginieren seiner selbst versichert. - Was das Bild ist, wird es noch. Mit jedem Blick von neuem.

Jens Peter Koerver, aus Kölner Skizzen, Heft 3, 2003, hrsg. v. Dietmar Schneider