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Nadja Nafe – als ich so dasaßAusstellung vom 9. März bis 30. März 2025![]() Nadja Nafe – Installationsansicht – Der Moment zwischen Jetzt und Später, Foto: N.Nafe Gezeigt wird eine Installation aus unterschiedlich langen Transparentpapieren, die von der Decke hängen und mit Messerschnitten versehen sind. Ergänzend werden großformatige Malereien präsentiert, die in einen Dialog mit den Transparentpapieren treten. Die einzelnen Papierbahnen werden von Strahlern sowie durch einfallendes Tageslicht beleuchtet. Dadurch entstehen verschiedene Licht- und Schattenspiele, die sich je nach Lichteinfall, Tageszeit und Betrachterposition verändern. Auch geraten die Papierbahnen durch das Vorbeigehen des Publikums in leichte Bewegung, wodurch sich die Ästhetik der Arbeit ständig verändert. Die Installation lässt Überlegungen zur Erfahrbarkeit von visuellen Eindrücken, Bewegung und Raumwahrnehmung zu. Grundsätzlich lässt sich die Bildsprache von Nadja Nafes Arbeiten als Fragmente sehen, die wie abstrahierte Erinnerungsfetzen auf Vergangenes verweisen, Spuren einer Bewegung darstellen, aber auch auf ein mögliches Werden hindeuten. Grundlage bildet dabei die Wahrnehmung von Zeit, Geschwindigkeit und Stillstand. Der Arbeitsprozess Nadja Nafes wird begleitet von der Fragestellung, wie das subjektive Erleben von zeitlichen Prozessen und deren plötzliche Wechsel räumlich verortet und dargestellt werden können. Eröffnungsrede zur Ausstellung „als ich so dasaß“ von Nadja Nafe, 9. März 2025Nana Tazuke-SteinigerEs war ein sehr kalter, aber sonniger Tag, als ich Anfang Februar das Atelier der Künstlerin Nadja Nafe (*1984) besuchte. Vor dem großen Fenster im Atelier hing eine Scherenschnittarbeit aus weißen, halbtransparenten mehrschichtigen Papieren unter der Decke, welche die Sonne einfing. Im Papier wurden kleine Löcher verschiedener Formen sorgfältig von Hand mit einem Skalpell ausgeschnitten. In einer Ecke lagen die neuesten Keramikarbeiten, die zwar bereits geformt, aber noch nicht getrocknet und (noch) nicht glasiert waren. Auf dem weiß gestrichenen Parkettboden waren verschiedene Farben und Ölpastelle verteilt, mit denen Nafe ihre malerischen Arbeiten, die an die Wand angelehnt waren, gemalt haben dürfte. An diesem Tag sagte die Künstlerin, dass ihre Malerei, die sie plant, hier in Brühl auszustellen, noch ein in Work-in-Progress wäre. Diese neueste zweiteilige Malerei erweckte in mir den Eindruck, dass die schwarzen energetischen Malspuren eine sprudelnde Quelle oder den Ausbruch eines Vulkans darstellen. Die ersten Keramikarbeiten von Nafe entstanden nach ihrer Reise in die Mongolei im Jahr 2018, wo sie von der dortigen Landschaft sehr beeindruckt war. Dort sah sie Felsen und Steine, die über die weiten Grasfelder verteilt waren, und die Spuren des tierischen Lebens. Sie spürte unmittelbar, dass sich Leben und Tod an diesem Ort über einen langen Zeitraum hinweg wiederholt hatten. Auch stammen die Formen ihrer Scherenschnittarbeiten aus ihrer Beobachtung der Natur beim Wandern in der Türkei, als sie auf die Licht- und Schattenstrukturen auf den Felsen aufmerksam geworden ist. Je nach Konstellation der Schnitte wirken ihre Scherenschnittarbeiten auf mich auch wie Fossilien oder Fragmente von Ruinen, die dem Zahn der Zeit nicht standgehalten haben. Während ich den Wachstumsprozess der Arbeit von Nafe beim Besuch ihres Ateliers miterlebte, spürte ich die Quelle ihrer künstlerischen Energie. Sie sagte, dass sie mit ihren Ausstellungen einen Ort wie einen Wald darstellen möchte, wo man seine Orientierung im positiven Sinne verlieren kann. In der künstlerischen Auseinandersetzung interessiert sie sich für den Moment, wo etwas kippt, also wenn die bisherige Balance von Gegenständen oder Zuständen verloren geht oder instabil wird. In ihren Worten ist es ein Moment, in dem „man eine vermeintlich unversehrt wirkende Wand nur leicht berührt und alles plötzlich lawinenartig abblättert und staubbildend zu Boden fällt.“1 Für Nafe bedeutet dieser Moment, dass ein bestimmter Zustand der Dinge in seinen nächsten, neuen Zustand übergeht. Das ist wie der Prozess des Wachstums, der Häutung, der Vereinigung, der Aufspaltung oder auch des Verfalls, was sowohl im Mikro- als auch Makrokosmos in der Naturwelt und durch menschliche Intervention passiert, in dem sich alle Arten von Lebewesen, wie Menschen, Tiere, Pflanzen, Bakterien und Viren, gegenseitig beeinflussen. Der Gedanke über die ständige organische Veränderung der Dinge steht auch in ihren Kunstwerken. Nafe haucht ihren malerischen Arbeiten in ihren Collagearbeiten ein neues Leben ein. Ich war sehr überrascht, als ich von Nafe erfuhr, dass sie für dieses Konzept so weit geht, die Grundschichten der Collage- und Scherenschnittarbeiten aus einem Teil ihrer früheren Malereien zu erstellen. Wenn sie merkt, dass ihre Malereien als Material für die Collagearbeiten geeignet sind, schneidet sie sie aus. Dieser Mut und die Freude an der Weiterentwicklung verkörpern ihre endlose Kreativität. Ihre Arbeiten wachsen, entwickeln und verändern sich also nicht nur auf konzeptueller, sondern auch auf materieller Ebene. 2024 setzte sich die Künstlerin Nadja Nafe intensiv mit dem Alten Stadtbad in Krefeld auseinander, wobei sie in ihrer Einzelausstellung „KLAMM“ zum ersten Mal ihre Malereien mit den Scherenschnitt- und Keramikarbeiten zusammen ausstellte. Dort entdeckte sie im Keller des Stadtbades einen großen, wilden Echten Hausschwamm2, also ein Hausfäulepilz, der „eine total abgefahrene, riesige flauschig wirkende, weiße Wucherung [war], die leicht grünlich schimmernd daher[kam] und sich über Kabel und den Boden ausbreitet[e]“3. Der Hausschwamm hatte sogar orangefarbene Ausläufe. In den meisten Fällen würden sich Menschen wohl vor einem solchen riesigen Hausschwamm erschrecken, doch Nafe war davon restlos begeistert. Ihre gemalten Kreise, die ortsspezifisch ausgewählten Farben und die neuen Keramikarbeiten, welche organische Formen haben, gingen auch auf den Hausschwamm im Alten Stadtbad zurück. Im Vergleich zu der Ausstellung in Krefeld scheint mir ihre Herangehensweise an die Brühler Ausstellung etwas objektiver zu sein, denn die Ausstellung trägt den Titel: „Als ich so dasaß“. Diese Distanz zwischen den Gegenständen, Zuständen und der Künstlerin sowie den Zuschauer*innen ermöglicht es, ästhetische Wahrnehmung auch in Dingen zu finden, die uns auf den ersten Blick erschaudern lassen können. Dabei möchte ich mich auf den Gedanken des Philosophen Immanuel Kant (1727 – 1804) aus dem Buch „Kritik der Urteilskraft“ im Absatz 28 „Von der Natur als einer Macht“ beziehen: Kühne überhängende, gleichsam drohende Felsen, am Himmel sich auftürmende Donnerwolken, mit Blitzen und Krachen einherziehend, Vulkane in ihrer ganzen zerstörenden Gewalt, Orkane mit ihrer zurückgelassenen Verwüstung, der grenzenlose Ozean, in Empörung gesetzt, ein hoher Wasserfall eines mächtigen Flusses u. dgl. machen unser Vermögen zu widerstehen in Vergleichung mit ihrer Macht zur unbedeutenden Kleinigkeit. Aber ihr Anblick wird nur um desto anziehender, je furchtbarer er ist, wenn wir uns nur in Sicherheit befinden; und wir nennen diese Gegenstände gern erhaben, weil sie die Seelenstärke über ihr gewöhnliches Mittelmaß erhöhen und ein Vermögen zu widerstehen von ganz anderer Art in uns entdecken lassen, welches uns Mut macht, uns mit der scheinbaren Allgewalt der Natur messen zu können.4 Wie würden wir reagieren, wenn wir im Keller unseres eigenen Hauses einen großen Hausschwamm entdecken würden? Wahrscheinlich fällt es uns nicht leicht, dieses Lebewesen als ästhetisches Objekt zu betrachten. Denn der Hausschwamm ist ein so gravierender Schädlingsbefall, dass er in vielen Bundesländern sogar meldepflichtig ist. Die Distanz, die entsteht, wenn die Künstlerin ihre Inspirationsquelle in ihre Kunstwerke übersetzt, spielt hier also eine große Rolle, denn es muss vorausgesetzt werden, dass unsere eigene Umgebung gesichert ist, um die erstaunlichen Gegenstände aus der Natur beobachten zu können. Auch die Größe des Hausschwamms spielte beim Wohlgefallen der Künstlerin eine Rolle, was sich in Kants Zitat darin wiederfindet, dass das Erhabene mit der Vorstellung von Quantität zu tun hat.5 Ein kleiner Schimmelfleck hätte wohl kaum einen so großen Eindruck auf die Künstlerin machen können. Im Gegensatz zu der Zeit, als Kant seine Texte verfasste, müssen wir uns heute zum Beispiel dringend mit dem Umweltschutz befassen, während die Natur immer weiter zerstört wird und wir Auswirkungen der zunehmenden Naturkatastrophen hautnah erleben. Es lässt sich teilweise kaum noch von Erfahrungen des laut Kant „Erhabenen“ distanzieren. Ebenso auf der metaphorischen Ebene beherrschen Ängste vor etwas Großem und Unsicherem heute in unserem Gedächtnis. Ihre Kunstwerke enthalten nicht zwangsweise politische oder soziale Themen. Dennoch sind Themen aus unserer globalen Gesellschaft ein Bestandteil ihrer Werke und ihre Kunstwerke ermutigen uns mit ihrer ambitionierten Vorgehensweise. Was wäre, wenn die Natur weiterhin verschmutzt und zerstört wird und der natürliche Kreislauf nicht mehr funktioniert, wenn wir unseren Nächsten nicht mehr vertrauen oder wenn Orte aus politischen Gründen nicht mehr betreten werden können? Während unsere Gesellschaft instabiler wird und wir uns ohnehin unsicher fühlen, haben wir hier in der Ausstellung die Möglichkeit, uns jeweils auf uns selbst zu konzentrieren und unsere eigene Balance zu finden, ohne uns zu sehr von anderen beeinflussen zu lassen. Malereien, hängende Scherenschnitte und Keramikarbeiten auf dem Boden und an der Wand – Worauf wollen wir uns fokussieren? Wie fühlen wir uns? Was sehen wir, wenn wir so dasitzen? Die Künstlerin Nadja Nafe lädt uns in ihren imaginären „Wald“ ein, um sich zu verlaufen und das Gleichgewicht zu verlieren, wodurch wir uns selbst schließlich neu entdecken. 1. Holzhey, Magdalena und Nadja Nafe: „Ein Gespräch mit dem Ort“, in: KLAMM (Ausst.-Kat. Altes Stadtbad Krefeld, Krefeld, 2024), hg. vom Krefelder Kulturbüro und freischwimmer e.V., Krefeld 2024, S. 15–29, hier S. S. 16. 2. Der Hausschwamm im Alten Stadtbad in Krefeld wurde bereits entfernt. 3. Holzhey 2024, S. 19. 4. Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, Leipzig 1922, S. 107. 5. Vgl. ibid., S. 87f. |
Bilder von der Eröffnung![]() Die Künstlerin Nadja Nafe, Vereinsvorsitzende Gaby Zimmermann und die Kunsthistorikerin Nana Tazuke-Steiniger (v.l.n.r.) ![]() Emila Hüttche unterhält die Vernissage-Gäste auf ihrer Harfe. ![]() Interessiert hört das Publikum den Ausführungen von Kunsthistorikerin Nana Tazuke-Steiniger zu. ![]() ![]() Blick in die Ausstellung![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Fotos: G.M.Wagner |